08.07.2011 – Arbeit und Soziales
Markus Kurth
07.07.2011
Rede zu Protokoll
Sehr geehrte Damen und Herren,
bevor ich auf die berechtigte Forderung näher zu sprechen komme, das Bildungs- und Teilhabepaket auch den Kindern nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zukommen zu lassen, möchte auf das Asylbewerbergesetz sowie das Bildungs- und Teilhabepaket eingehen.
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gehört abgeschafft. Dies fordern wir Grüne schon seit Jahren, ist es doch nicht ersichtlich, warum die Sozialleistungen für erwachsene Asylsuchende um rund 38 Prozent niedriger sind als die sog. Hartz IV-Regelsätze. Seit Einführung des Gesetzes 1993 wurden die Leistungen nach dem AsylbLG zudem kein einziges Mal an die Preisentwicklung angepasst. In einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales vom 07.02.2011 über unseren Gesetzentwurf für eine Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes (BT-Drs. 17/1428) sprach sich eine klare Mehrheit der Experten für unseren Gesetzentwurf aus. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2010 die Regelsätze des Arbeitslosengeldes II für verfassungswidrig erklärte, hat dies nun unmittelbare Folgen für das AsylbLG.
Einzig eine Neuberechnung der Leistungen für Asylbewerberinnen und -bewerber greift aber zu kurz. Aus unserer Sicht gelten die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts nicht nur für Deutsche, sondern für alle Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Die Bundesregierung verschleppt derweil eine Neuberechnung und Erhöhung der passiven Leistungen. Es ist zu befürchten, dass sie wie schon bei den sog. Hartz IV-Regelsätzen auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wartet, bevor die Bundesregierung selbst aktiv wird und das verfassungswidrige Gesetz abschafft.
Zum Bildungs- und Teilhabepaket: Der verfassungsrechtliche Zugang zu Bildung und Teilhabe hätte nach dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgericht aus dem Februar 2010 bequem im Kinderregelsatz oder in Infrastrukturinvestitionen in Kitas und Schulen aufgehen können. Aufgrund der diskriminierenden Unterstellung, alle Eltern im SGB II-Bezug würden ihre Gelder „verprassen“, anstatt für das Wohl ihrer Kinder zu verwenden, wurde von schwarz-gelb die Umsetzung als Sach- bzw. Dienstleistung beschlossen. Für diese Unterstellung gibt es im Übrigen keinerlei empirische Belege. Im Gegenteil hat eine umfangreiche Studie aus diesem Jahr im Auftrag des Diakonischen Werks Braunschweig und im Auftrag der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz herausgefunden, dass Eltern mit geringem Einkommen zuallerletzt bei ihren Kindern sparen.
Im ursprünglichen Gesetzentwurf von Ministerin von der Leyen sollten zudem nur Kinder aus Familien im Hartz-IV-Bezug vom Bildungspaket profitieren. In den zähen Verhandlungen zum Regelbedarfsermitllungsgesetz haben wir erreicht, dass der Kreis auch andere bedürftige Kinder umfasst. Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Kommunen und nicht die Jobcenter die Umsetzung in die Hand nehmen können.
Ein wesentliches Problem bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakts stellt die extrem bürokratisch und vielschichtige Umsetzung dar. Zuständig für Antragstellung, Bewilligung und Abrechnung sind die Jobcenter, die Kommunen können durchführen. Es ist nicht zu vermitteln, wie viel Mittel und Personal allein für die Verwaltung aufgewendet werden muss. Das ist an Bürokratie kaum zu überbieten.
Ein weiteres Problem bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets stellt die Vielzahl an unbestimmten Rechtsbegriffen dar. So sind die Begriffe „wesentliche Lernziele“ (§ 28 Abs. 5 SGB II), „Mittagsverpflegung in schulischer Verantwortung“ (§ 28 Abs. 6 SGB II) sowie „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“ in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit (§ 28 Abs. 7 SGB II) nicht abschließend definiert. In der Praxis kommt es zur Rechtsunsicherheit, die schließlich wieder die Sozialgerichte beschäftigen wird.
Zwar setzt das Bildungs- und Teilhabepaket den Anspruch auf Bildung und Teilhabe gesetzlich um, droht aber auf Grund der genannten Probleme nicht hinlänglich in Anspruch genommen zu werden.
Anspruchsberechtigt auf Leistungen des Bildungs- und Teilhabegesetzes sind neben dem schon genannten Personenkreis Kinder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 erhalten haben und die die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Nicht anspruchsberechtigt sind nach bisheriger Gesetzeslage allerdings alle anderen Kinder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, obwohl diese natürlich auch zur Schule gehen und an kulturellen Aktivitäten teilhaben möchten.
Ein solcher Ausschluss ist nach unserer Auffassung weder verfassungsrechtlich zulässig, noch mit dem Umstand vereinbar, dass die Bildungs- und Teilhabechancen von Kindern verbaut werden, die in großer Zahl auch künftig in Deutschland leben werden. Die Anhörung zum Asylbewerberleistungsgesetz im Arbeits- und Sozialausschuss veranschaulichte diese Problematik. So gab die Sachverständige Prof. Dr. Frings etwa zu bedenken, dass bei Kindern von Asylantragstellern und Geduldeten, die in die normalen Strukturen, d.h. im Kindergarten oder in der Schule eingebunden sind, „jede Sonderbehandlung gegenüber anderen Kinder
zu einer ausgesprochenen Stigmatisierung und Ausgrenzung führt“. Es sei ein Wertungswiderspruch, wenn es einerseits eine Schulpflicht für diese Kinder gäbe sowie einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, andererseits aber Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket vorenthalten werden. Eine solche Stigmatisierung und Ausgrenzung sei zudem teuer, wenn man bedenke, dass mehr als die Hälfte dieser Kinder langfristig in diesem Land blieben: „Wenn wir sie in dieser Phase der ersten Jahre in dieser Weise ausgrenzen, dann zerstören wir die Möglichkeit, dass sie zu unserem Humankapital beitragen und es ist auch volkswirtschaftlich sehr bedauerlich, dass wir Hinderungsgründe setzen, die erschweren, dass hier qualifizierte junge Menschen heranwachsen können.“
Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen. Mit der Abschaffung des Gesetzes hätten konsequenter Weise alle bedürftigen Kinder ausnahmslos Anspruch auf das Bildungs- und Teilhabepaket. Geht sie diesen Weg nicht, muss sie das Bildungs- und Teilhabepaket, trotz all seiner Tücken und Schwierigkeiten, auf alle Kinder nach dem AsylbLG auszuweiten. Besser wäre es dann aber auch, das Geld aus dem Paket in Infrastruktur und in höhere Kinderregelsätze zu investieren.