Der Ausschluss vom Wahlrecht im Zusammenhang mit einer Behinderung wurde am Montag in einer Öffentlichen Anhörung scharf kritisiert.
Das Wahlrecht steht in Deutschland grundsätzlich jedem Bürger und jeder Bürgerin zu. Das Bundeswahlgesetz (BWahlG) schließt in § 13 allerdings einige Personengruppen explizit vom Wahlrecht aus. Weder wählen noch gewählt werden dürfen gegenwärtig Personen, für die eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet wurde. Auch Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben, sind vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die grüne Fraktion hatte Anfang des Jahres einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, der diesen Ausschluss abschaffen würde. Der Innenausausschuss beschäftigte sich im Rahmen einer Anhörung am 3. Juni 2013 nun mit der Frage, ob der Ausschluss gerechtfertigt ist.
"Ich finde, eine Entscheidung, die nichts mit dem Wahlrecht zu tun hat, aber zur Folge hat, dass das Wahlrecht ausgeschlossen ist, ist einem Rechtsstaat unwürdig." Deutlicher hätte der Sachverständige Professor Hans Meyer, der ehemalige Präsident der Humboldt Universität zu Berlin seine Kritik am Wahlrechtsausschluss kaum formulieren können. Der automatische Ausschluss entspreche in keiner Weise der verfassungsrechtlich verbürgten Allgemeinheit der Wahl. Obwohl sich Richterinnen und Richter in einem Verfahren zur Anordnung einer Betreuung gar nicht damit befassen dürften, ob eine Person in der Lage ist, eine Wahlentscheidung zu treffen, kann ihre Entscheidung den Ausschluss vom Wahlrecht zur Folge haben. Es verlieren also gegenwärtig Personen ihr Wahlrecht durch ein Verfahren, das keine Aussage dazu treffen kann, ob die Fähigkeit zur Wahl besteht. Mit dem Verfassungsrecht lasse sich dies nicht vereinbaren. Ähnlich argumentierte der Sachverständige Dr. Bernd Schulte, der schon Ende der 1980er Jahre an der Erarbeitung des Betreuungsrechts mitwirkte. Ein Ausschluss vom Wahlrecht sei nur möglich, wenn er objektiv und angemessen sei. Die gegenwärtig praktizierte Ungleichbehandlung verstoße gegen das Willkürverbot und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 Grundgesetz. Die Argumente für eine ersatzlose Streichung des § 13 BWahlG seien erdrückend, so Schulte.
Zur Frage, ob die bisher ausgeschlossenen Personengruppen in der Lage sind, eine Wahlentscheidung zu treffen, äußerte sich auch Gregor Rüberg vom Betreuungsverein der Lebenshilfe in Dortmund. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Betreuer konnte er berichten, dass immer wieder Betreuungen in allen Angelegenheiten angeordnet werden, obwohl es eigentlich nicht nötig sei. Dies ergebe sich durch Zeitdruck am Gericht und bei den Gutachterinnen und Gutachtern. Zum anderen könnten auch unter den Personen, für die eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet wurde, eine Reihe von Personen sehr wohl das Wesen und die Bedeutung einer Wahl erkennen. Sofern sie entsprechend unterstützt werden, seien sie in der Lage, sich selbst eine Meinung darüber zu bilden, wem sie ihre Stimme geben wollten. So gebe es Personen, die sich in ihren Wohneinrichtungen mit Unterstützung und dem Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für poltische Bildung auf die Wahlen vorbereiteten, dann aber nicht wählen gehen dürften. Dass geschäftsunfähige Personen durchaus Wesen und Bedeutung einer Wahl erkennen können und in der Lage sind, entsprechend dieser Erkenntnis zu handeln, war bereits im Zuge der Erarbeitung des Betreuungsrechts klar, berichtete ergänzend Dr. Schulte. So hatte sich damals eine vom Bundesministerium der Justiz zusammengesetzte Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen, Praktiker aus Justiz und Verwaltung sowie Mitarbeiter aus dem Justizministerium einstimmig dafür ausgesprochen, den Wahlrechtsausschluss in diese Form aufzuheben.
Nur zwei der geladenen Sachverständigen äußerten Bedenken, den Wahlrechtsausschluss aufzuheben. So sei es zwar richtig, dass der Ausschluss nicht weiter bestehen dürfe, nur weil er eben schon immer bestanden habe, so Professor Heinrich Lang von der Universität Greifswald. Auch bereite ihm die Vorstellung einer Überprüfung der Wahlfähigkeit Unbehagen. Es müsse aber zunächst untersucht werden, ob ein Ausschluss vom Wahlrecht für diese Personengruppen nicht nötig sei, um eine wichtige Funktion von Wahlen zu schützen: Wahlen legitimierten verfassungsstaatlich gebundene Herrschaftsausübung. Es müsse also sichergestellt werden, dass bei der Teilnahme an der Wahl Fremdbestimmung ausgeschlossen sei. Wenn dies nicht sichergestellt werden könne, sei ein Wahlrechtsausschluss sinnvoll. Dieser Auffassung widersprach Dr. Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention am Deutschen Institut für Menschenrechte. Die Streichung des Wahlrechtsausschlusses sei ein signifikanter Legitimationsgewinn staatlicher Macht. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist der Ausschluss, wie er gegenwärtig besteht, nicht zu rechtfertigen. Er müsse daher noch vor der nächsten Bundestagswahl aufgehoben werden. Zum anderen sei die angesprochene Problematik der Missbrauchsgefahr nicht durch den Ausschluss einzelner Personengruppen zu lösen. Professor Meyer argumentierte ähnlich. Die Missbrauchsgefahr sei bei der Briefwahl wesentlich höher. Trotzdem besteht diese Möglichkeit, weil sie politisch gewollt ist.
International bestehen in einer Reihe von Staaten vergleichbare Wahlrechtsausschlüsse, auch dies kam im Rahmen der Anhörung zur Sprache. Es lasse sich hier allerdings ein Trend beobachten, so Dr. Schulte: Immer mehr Staaten entscheiden sich, den Ausschluss abzuschaffen. Dies sei zum Beispiel in Österreich und Großbritannien der Fall. Gerade erst habe sich das japanische Parlament entschieden, den Ausschluss aufzuheben.
Der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen wird nun im Innenausschuss abschließend beraten und Ende Juni im Plenum des Bundestages abgestimmt.
Hier können Sie sich eine Aufzeichnung der Anhörung ansehen: http://tinyurl.com/kbtmz9j
Hier finden Sie die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen:
http://tinyurl.com/krn9s4h
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