31.03.2016 – Inklusion
Das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz, BGG) setzte 2002 Maßstäbe bei der Umsetzung des Benachteiligungsverbots im öffentlich-rechtlichen Bereich. Viele Gebäude staatlicher Einrichtungen sind in den letzten Jahren barrierefrei gebaut oder umgebaut worden. Die Internetseiten der Bundesministerien und -behörden sind weitgehend barrierefrei, so auch die Internet-seite des Deutschen Bundestages. Mit der Barrierefreie-Informationstechnikverord-nung (BITV) wurde ein Standard gesetzt, an dem sich auch private Website-Betreiberinnen und Betreiber, die auf Barrierefreiheit Wert legen, orientieren können. Die Deutsche Gebärdensprache wird nach der staatlichen Anerkennung auch in der Ge-sellschaft immer stärker als selbstverständliche Form zu kommunizieren wahrge-nommen.
Die Entwicklungen der letzten vierzehn Jahre, insbesondere das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie Erfahrungen aus der Praxis machen jedoch weitere Anpassungen notwendig. Der von der Bundesregierung im Januar 2016 vorgelegte Entwurf zur Weiterentwicklung des BGG enthält einige gute Ansätze, ist insgesamt aber mutlos und alles andere als ausreichend.
Viele im Gesetzentwurf enthaltene Änderungen sind nicht geeignet, das laut Begründung beabsichtigte Ziel zu erreichen. Vor allem scheut die Bundesregierung verbindliche Verpflichtungen. Barrieren in bestehenden Gebäuden und im Intranet der Bundesministerien und -behörden sollen zwar bis 2021 erhoben werden, bis wann sie tatsächlich abgebaut werden, steht aber in den Sternen. Hier fehlt der Mut zu einer klaren zeitlichen Vorgabe.
Als Vorbild zum Abbau von Barrieren in anderen Bereichen ist dieses Vorgehen ungeeignet, vielmehr verfestigt die Bundesregierung damit den Mythos, der Abbau von Barrieren sei eine (zu) große Belastung und führt die eigene Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Barrierefreiheit ad absurdum. Menschen mit Lernschwierigkeiten sollen Informationen und Erklärungen in Leichter Sprache bekommen, den Behörden, die das umsetzen sollen, bleibt aber ein Spielraum, das zu verweigern.
Auch wenn die Inhalte der Internet-Auftritte der Bundesverwaltung weitgehend barrierefrei zugänglich sind, gilt dies nicht für wichtige Portale wie z. B. bundesanzeiger.de, die im Auftrag des Bundes betrieben werden. Darauf weist auch der dreizehnte Zwischenbericht und die Handlungsempfehlungen der Projektgruppen „Kultur, Medien und Öffentlichkeit" (vgl. Bundestagsdrucksache 17/12542) und „Demokratie und Staat" vgl. Bundestagsdrucksache 17/12290) der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft" hin.
Private Einrichtungen müssen sich künftig an das BGG halten, wenn sie dauerhaft (institutionell) vom Staat gefördert werden. Für private Einrichtungen, die immer wieder viel Geld für Projekte bekommen, gilt das aber nicht. Da viele Projekte mit großen Beträgen und für lange Zeit bezuschusst werden, ist diese Unterscheidung nicht nachvollziehbar. Die Gleichstellung behinderter Frauen und Mädchen wird betont, konkrete Maßnahmen hierzu lassen aber weiter auf sich warten.
Die größte Lücke lässt der Gesetzentwurf aber weiterhin dadurch bestehen, dass der private Sektor weitgehend außen vor bleibt. Es ist schön und gut, wenn der Bund erklärt, sich zu Barrierefreiheit und Gleichstellung zu verpflichten. Die meisten Menschen nutzen private Geschäfte, Gaststätten, Kinos usw. aber deutlich häufiger als Bundesministerien und Behörden. Die Hoffnung, der private Sektor lasse sich allein durch das Baurecht und Zielvereinbarungen erreichen, hat sich nicht erfüllt. Den meisten Verbänden behinderter Menschen fehlt Personal und Geld, um Zielvereinbarungen ohne staatliche Unterstützung verhandeln zu können. Das belegt auch die Tatsache, dass laut Zielvereinbarungsregister der Bundesregierung die meisten Zielvereinbarungen in Rheinland-Pfalz geschlossen wurden, wo die Landesregierung derartige Verhandlungen moderiert und unterstützt. Die Aufgabenbeschreibung der neuen Bundesfachstelle für Barrierefreiheit lässt nicht erwarten, dass sich an dieser Schwachstelle etwas ändert. Auch das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) muss daher geändert werden.