15.04.2016 – Rentenpolitik, Arbeit und Soziales
Meine Rede im Wortprotokoll:
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Schlecht, auch ich muss sagen: Streckenweise hatte ich bei Ihrer Rede das Gefühl, mich verirrt zu haben, als sei ich nicht im Plenum des Deutschen Bundestages, sondern bei irgendeiner Veranstaltung von Verdi.
(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Zuruf von der LINKEN: Warum?)
Man muss schon überlegen, was man von hier aus sagt.
Ich kann Ihnen das spiegeln und eine andere Position aufzeigen. Ich bin ja schon ein bisschen länger dabei und kann mich an Aktuelle Stunden erinnern, die die FDP im Bundestag beantragt hat, beispielsweise bei Streiks der IG Metall. In dem Fall hat die FDP auf die Gewerkschaften draufgeschlagen. Sie ist dabei mit einer ähnlich groben, teils platten Rhetorik gegen Arbeitszeitverkürzungen vorgegangen, wie Sie jetzt umgekehrt auch. Damals habe ich mich genauso gegen Eingriffe in die Tarifautonomie vonseiten der Arbeitgeber, indirekt vertreten durch die FDP, gewehrt. Jetzt finde ich vor allen Dingen die Form, wie Sie hier Ihre Kritik äußern, zumindest fragwürdig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der öffentliche Dienst ist ein bisschen was anderes!)
– Ich höre den Zwischenruf, dass der öffentliche Dienst ein bisschen was anderes ist. Wir reden hier in erster Linie über Tarifautonomie. Da es um den öffentlichen Dienst geht, gibt es jenseits der aktuellen Tarifverhandlungen natürlich einiges dazu zu sagen. Zum Beispiel kann man sehr wohl etwas zur Finanzausstattung der Kommunen anmerken. Diesbezüglich stelle ich mit Blick auf mein Land Nordrhein-Westfalen fest, dass 40 Prozent der Kommunen ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen mussten und die Große Koalition ihre Versprechen, die Kommunen finanziell zu entlasten, nicht wahrgemacht hat.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Aber das stimmt doch gar nicht!)
Das ist ein Grund, warum Kämmerer berechtigte Tarifforderungen nur noch mit Bauchschmerzen oder gar nicht mehr erfüllen können. Das ist ein eminent politischer Punkt, und der gehört in den Deutschen Bundestag.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Aber es stimmt doch so nicht!)
Die Große Koalition hat beispielsweise bei der Eingliederungshilfe im Zuge des Bundesteilhabegesetzes ein 5-Milliarden-Paket versprochen, was eine Entlastung für die Kommunen bedeutet hätte. Dieses Paket hat sich in den verschiedenen Verhandlungssträngen der Bund-Länder-Finanzverhandlungen verflüchtigt. Das ist das Problem, über das wir hier reden müssen; denn eine vernünftige Finanzausstattung der Länder und nicht zuletzt der Kommunen ist die Grundlage dafür, dass die Arbeitgeber bei Tarifverhandlungen auf berechtigte Forderungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eingehen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir schon über Tarifautonomie sprechen, so muss ich doch daran erinnern, dass es die Große Koalition war, die mit dem Tarifeinheitsgesetz ihrerseits die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, auch in Tarifautonomie einzugreifen. Das, denke ich, sollte man im Hinterkopf behalten, wenn noch weitere Rednerinnen und Redner der Koalition die Linke zeihen, die Tarifautonomie zu beschädigen. Da sind Sie selbst nicht ganz unschuldig und unbeteiligt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Als rentenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen muss ich jetzt doch noch auf einen inhaltlichen Punkt der Tarifverhandlungen eingehen, nämlich die Altersversorgung. Das ist ja einer der zentralen Streitpunkte: die Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Was macht diese Bundesregierung? Sie versucht – zumindest verbal, ein Gesetz hat sie ja noch nicht eingebracht –, die Betriebsrente zu stärken; das behauptet sie zumindest. Sie möchte, nachdem sie eingesehen hat, dass die Riester-Rente ihre hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllt, die zweite Säule stärken. Es kann ja wohl nicht sein, dass Sie hier auf der einen Seite bundespolitisch etwas aufzubauen versuchen und das dann während der Tarifverhandlungen mit dem Hintern wieder einreißen, indem Sie die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst schwächen. Das kann nicht funktionieren. Das ist hochgradig widersprüchlich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Mit Blick darauf muss man schon sagen, dass gerade die Zusatzversorgung im Alter beim öffentlichen Dienst auch ein wesentliches Element der Nachwuchsgewinnung ist. In der Nachbarstadt meines Wahlbezirkes, in Essen, gehen in den nächsten 15 Jahren 40 Prozent in der öffentlichen Verwaltung in den Ruhestand. Die haben schon jetzt ein richtig großes Nachwuchsproblem. Systemadministratoren und gute Verwaltungsjuristen bekommen Sie nicht für ein Butterbrot. Sie verdienen in der freien Wirtschaft teilweise sogar ein Mehrfaches.
(Beifall der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])
Neben der Arbeitsplatzsicherheit ist eine vernünftige Altersversorgung für diese Fachkräfte eben auch ein Argument, für den öffentlichen Dienst zu arbeiten. Wir alle, auch wir hier als Gesetzgeber, sind darauf angewiesen, dass wir einen guten und funktionierenden öffentlichen Dienst haben. Wer sonst sollte unsere Gesetze umsetzen?
Ich bin allerdings guter Hoffnung, dass die Sozialpartner, dass Verdi das eigenständig hinbekommt, ohne dass wir hier Geleitzugdebatten dieser Art führen müssen, wie Sie sie, Herr Schlecht, eröffnet haben. Wir sollten uns auf die politischen Sachen konzentrieren.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)