13.07.2021 – Grüne Politik
Liebe Leserin, lieber Leser!
„Flood the zone with shit!“ lautete die Parole von Steve Bannon, der als zeitweise wichtigster Berater von Donald Trump maßgeblich den US-Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2016 steuerte. Soll heißen: Verbreite unwahre Informationen oder gar Lügen über die politischen Wettbewerber, überflute die Öffentlichkeit mit Unterstellungen, schrecke nicht vor der Verfälschung von Zitaten zurück und tue dies so, dass insbesondere die nicht so gut informierten Bürger*innen mindestens verunsichert, im Idealfall aber mit wütenden Vorurteilen aufgepumpt werden.
Die Zone mit Fäkalien zu fluten – es hat den Republikanern die Präsidentschaft 2016 eingebracht und den Stil von Wahlkämpfen und politischen Kampagnen über die USA hinaus verändert. Das gepflegte Selbstbild der Demokratien westlicher Prägung ist bis heute erschüttert: Bis dahin verließ man sich darauf, dass – von einigen Ausnahmen abgesehen – die übergroße Mehrheit ihre Wahlentscheidung wenigstens grob informiert trifft. Es galt als ungeschriebene Regel, dass Politiker*innen in Demokratien zwar übertreiben, zuspitzen und ja: auch verzerren dürfen, aber nicht erfundene Behauptungen – und erst recht keine verunglimpfenden – als angebliche Tatsachen gezielt als Waffe einsetzen. Und sollte letzteres dennoch einmal geschehen, war in der Regel auf die allermeisten Medien Verlass, dass Lügen auch als solche bezeichnet wurden. Natürlich ist dieses Selbstbild grob gezeichnet: Es gab schon vor Trump auch in Demokratien Desinformationskampagnen (wie zum Beispiel während des Brexit-Referendums) und böswillige Unterstellungen. Geradezu eine Ikone ist das Wahlplakat der CDU aus dem Jahr 1953 („Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau“), mit dem die SPD zur Demokratiefeindin erklärt wurde. Aber all dies ging als Tabubruch in die Geschichte des politischen Diskurses ein, der beim Publikum mindestens empörtes Naserümpfen einbrachte.
Die Normalität der Unanständigkeit Inzwischen ist die Methode „fake news“ und „Hetze“ von Kommunikationsstrategen autoritärer und rechtsradikaler Parteien weithin adaptiert worden. Von Viktor Orban bis zur AfD bedienen sich vor allem die Feinde der offenen Gesellschaft der Lüge als Mittel zum Zweck und die sozialen Medien bieten vormals ungekannte Potentiale zur Entfaltung ihrer Wirkmächtigkeit. Die Übergänge zwischen Unwahrheit, Halbwahrheit und Sinnentstellung sind dabei fließend, was es für die Empfänger*innen der manipulierten Botschaften schwer macht (und machen soll), Tatsachen zu überprüfen oder alternative Begründungszusammenhänge nachzuvollziehen. Die Normalisierung des Lügens, der Unaufrichtigkeit und der Unanständigkeit stellt mittlerweile eine Bedrohung für die Demokratie selbst da. Für die politische Willensbildung und Entscheidungsfindung ist die offene, an gegenseitigen Respekt und an argumentative Nachvollziehbarkeit gebundene Diskussion eine unverzichtbare Grundlage. Umso wichtiger ist es und wird es in Zukunft sein, dass die politischen Akteure und Medien, die sich demokratischen Werten verpflichtet sehen, nicht der Versuchung nachgeben, die Lüge und Diffamierung für den eigenen kurzfristigen Erfolg zu nutzen. Denn, siehe Trump, erfolglos ist die Strategie der Unanständigkeit eben nicht, wenn sie erst einmal eine bestimmte Breite der Bevölkerung vergiftet hat.
Die Bundestagswahl 2021 – der erste „Fake-news-Wahlkampf“? Es gibt leider einige ungute Anzeichen, dass angesichts des drohenden Machtverlusts der GroKo-Parteien ein beträchtlicher Anteil ihres Spitzenpersonals glaubt, mit den Methoden Steve Bannons speziell gegen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kämpfen zu müssen. Und ein Teil der klassischen Medien, allen voran „Bild“ und „Welt“, scheint mehr als willens, den Kampfauftrag anzunehmen. Um nicht missverstanden zu werden: Die zugespitzte, in der Sache hart, durchaus emotional und manchmal vielleicht auch verletzend geführte Debatte ist nichts, über das man sich als politisch aktiver Mensch beklagen sollte. Im Gegenteil, denn die heftige Auseinandersetzung in Wahlkämpfen dient ja auch der politischen und demokratischen Mobilisierung. Wahlkampfzeiten sind stets Zeiten des Mitgliederzuwachses für fast alle Parteien. Öffentlicher politischer Streit zeigt den Wähler*innen, dass es um etwas geht – um Handlungsalternativen, die sie mit ihrer Stimme beeinflussen können.
In den letzten Wochen lässt sich aber erkennen, wie auch Personen, die ich eigentlich als im klassischen Sinne „anständig“ bezeichnet hätte, zum Knüppel der Lüge greifen. Sie machen sich offensichtlich nicht bewusst, dass sie damit langfristig mehr zerstören als (vielleicht) kurzfristig die Wahlaussichten der Konkurrenz. Bestes Beispiel sind die erneuten Versuche, den GRÜNEN mal wieder das Klischee „Verbotspartei“ aufzudrücken. Hat ja früher auch gut geklappt. Nur ist es 2021 so, dass die GRÜNE Partei seit Jahren sehr vorsichtig mit Aussagen ist, die als Verbot gedeutet werden könnten. Zu den Themen „Eigenheim“ oder „Kurzstreckenflüge“ gibt es nicht einen Satz, der auf deren Verbot hinzielt, sondern nur Argumente in Bezug auf die ökologischen Konsequenzen (Energieverbrauch, Flächenbedarf usw.). Das ficht aber die Generalsekretäre der Union nicht an, einfach zu behaupten, GRÜNE wollten die eigenen vier Wände und den Mallorcaurlaub verbieten. Ähnliches vollzieht sich zurzeit in der Debatte um die CO²-Steuer, die Olaf Scholz zu der Behauptung nutzt, den GRÜNEN seien die Sorgen der Menschen „egal“. Kritisch wird es aber dann, wenn so genannte wohlmeinende Journalist*innen glauben, sie müssten dem GRÜNEN Personal Ratschläge geben, welche Themen es überhaupt noch ansprechen darf. Da wird doch allen Ernstes empfohlen, sich mit dem Auto als Klimakiller oder eben den Kurzstreckenflügen gar nicht mehr auseinanderzusetzen. Jedenfalls nicht im Wahlkampf. Ist ja so unpopulär. Wenn sich diese Ratschläge durchsetzen würden, hätten die Trumpisten unter den Wahlkämpfern der großen Koalition gewonnen. Und die demokratische Gesellschaft verloren.
Übrigens: Dass es auch ganz anders kommen kann, zeigte eine repräsentative Umfrage eine Woche nach Beginn der Aufregung um die Kurzstreckenflüge. Darin sprachen sich drei Viertel der Befragten für deren Verteuerung oder gar ein Verbot (!) aus.
Grüße von Eurem und Ihrem Bundestagsabgeordneten Markus Kurth
[Erschienen in der GrinDo, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kreisverband Dortmund, Juli 2021, Gestaltung Hintergrund Gerd Schmedes]