10.11.2023 – Rentenpolitik, Arbeit und Soziales
Meine Rede im Wortlaut:
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Zwei Vorbemerkungen:
Zum einen: Herr Aumer, wenn Sie das Thema „verdeckte Altersarmut“ ansprechen und Schritte anmahnen, sich auch diesem Problem zuzuwenden, so sprechen Sie sicherlich ein relevantes Thema an. Das ist nur nicht Gegenstand dieses Gesetzentwurfes.
(Peter Aumer [CDU/CSU]: SGB XII!)
Dieser Gesetzentwurf ist nicht dazu gedacht, das Sozialrechtssystem umzupflügen, obwohl wir eine wichtige – darauf komme ich nachher – strukturelle Änderung vornehmen, sondern es geht vorwiegend – das wissen Sie auch – um rechtstechnische Anpassungen, damit das Entschädigungsrecht, das, wie Sie richtig festgestellt haben, über die Fraktionsgrenzen hinaus gemeinsam beschlossen worden ist, am 1. Januar 2024 in Kraft treten kann. Also, da würde ich mal ein bisschen die Kirche im Dorf lassen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Wir werden uns der anderen sozialpolitischen Probleme im Zusammenhang mit Altersarmut sehr wohl annehmen. Zweite Vorbemerkung, in Richtung von Takis Mehmet Ali: Ich bin sehr dankbar dafür, dass Sie die Leistungen, die der Bund im Zusammenhang mit der Fluchtbewegung aus der Ukraine in die Bundesrepublik Deutschland aufbringt, hier noch mal angesprochen und die Summe von 2 Milliarden Euro genannt haben, die zur Entlastung der Kommunen aufgebracht worden ist: mit dem Rechtskreiswechsel, mit der Übernahme von Kosten der Unterkunft. Das wird leider in der öffentlichen Debatte viel zu oft vergessen. Und wir werden auch noch mehr tun, um die Kommunen zu entlasten. Das darf hier ruhig mal festgestellt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Für mich allerdings und für meine Fraktion sind jetzt nicht die rechtstechnischen Änderungen, wiewohl wichtig, entscheidend und auch nicht die Doppelleistungen in den Gemeinschaftsunterkünften, sondern für mich persönlich und auch für meine Fraktion ist besonders wichtig, dass Menschen, die sich in der Erwerbsminderungsrente befinden und als voll erwerbsgemindert gelten, jetzt erstmals rechtssicher die Gelegenheit erhalten, einen Versuch zu machen, in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukommen, und trotzdem noch im Hintergrund die Sicherheit des Rentenrechts haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Das ist eine ganz entscheidende Veränderung in unserem gegliederten und zum Teil versäulten System der sozialen Sicherung, so wie es gewachsen ist. Warum ist das so wichtig? Unser Recht sieht vor, dass, wer dauerhaft weniger als drei Stunden nach den allgemeinen Bedingungen des Arbeitsmarktes arbeiten kann, in die Erwerbsminderungsrente kommt. Diese Personen haben dann eigentlich kaum eine Rückkehrmöglichkeit. Aber gerade für Menschen mit psychischen Behinderungen ändert sich die Situation teilweise. Die Menschen fühlen sich nach einiger Zeit vielfach wieder in der Lage, es noch mal auszuprobieren. Sie wollen die Fähigkeiten, die sie haben, noch mal einsetzen. Bislang ist es so, dass, wenn dieses getan wird, diese Personen ihren Status als voll erwerbsgemindert und auch ihre Erwerbsminderungsrente verlieren. Das ist nicht trivial. Wenn man nämlich einmal diesen Status verloren hat, weil es heißt: „Du kannst ja wieder arbeiten“, und diese Personen dann merken: „Nee, ich schaffe es in dieser Art doch nicht ganz“, dann ist ein sehr umständliches und langes Verfahren notwendig, um wieder in die Erwerbsminderungsrente zurückzukommen. Das hält sehr viele Menschen, die es eigentlich könnten, davon ab, noch mal den Versuch zu wagen, in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen, ihren Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und auch ein Stück weit das Arbeitskräfteproblem der Wirtschaft zu mildern. Und das lösen wir jetzt ein Stück weit auf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Das machen wir gemeinsam als Ampel. Das war nicht einfach; Jens Beeck hat es im Ausschuss noch mal betont. Ich würde mir wünschen, dass wir es auch in Zukunft möglich machen, dass der Weg zwischen den Systemen insgesamt durchlässiger wird und dass wir nicht starr Menschen in verschiedene Bereiche sortieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wir haben darüber hinaus noch einige kleinere materielle Änderungen vorgenommen. Die Zuverdienstmöglichkeiten in der Sozialhilfe für die unter 25-Jährigen sind an das SGB II, an das Bürgergeld, angeglichen worden. Geldwerte Zuwendungen werden in der Grundsicherung auch nicht mehr angerechnet. Das heißt, die Enkelin kann ihrer Großmutter einen Wintermantel schenken, ohne dass das mit der Leistung verrechnet werden muss. Das hört sich vielleicht nach einer Kleinigkeit an, ist aber eine konkrete Lebensverbesserung für die Person.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wir stellen auch klar, dass die Leistungen nach dem Entschädigungsrecht dem Pfändungsschutz unterliegen. Das war auch noch mal eine wichtige Ergänzung. Wir hätten uns auch vorstellen können und uns gewünscht, dass man die Zuverdienstregelungen insgesamt angleicht, weil viele Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner noch hinzuverdienen müssen; aber es ist ja nicht aller Tage Abend. Wir haben in dieser Wahlperiode ja noch zwei Jahre vor uns, und wir werden an diesem Komplex weiter arbeiten.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Optimist!)
Jetzt bin ich erst mal froh, dass das Soziale Entschädigungsrecht, das Sozialgesetzbuch XIV, am 1. Januar 2024 noch mal umfassend verbessert an den Start gehen kann.
Vielen Dank.