Bundesregierung verweigert Auskünfte über Weiterentwicklung der Regelsatzbemessung
Zum 1. Juli 2013 muss die Bundesregierung einen „Bericht über die Weiterentwicklung der für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendende Methodik“ vorlegen. Bündnis 90/ Die Grünen, SPD und LINKE haben die Bundesregierung vorab befragt, ob die Bemessung der Regelsätze das sozio-kulturelle Existenzminimum sichert und ein menschenwürdiges Leben für alle ermöglicht.
Am 9. Februar 2010 urteilte das Bundesverfassungsgericht über die Bemessung der Regelsätze: "[D]ie Vorschriften des SGB II, die die Regelleistung für Erwachsene und Kinder betreffen, [erfüllen] nicht den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums". Die Regelsätze seien nicht realitätsgerecht berechnet - nicht "alle existenznotwendigen Aufwendungen [wurden] folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf" berücksichtigt. Darum ordnete das Gericht an, die "Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren" neu festzulegen.
In Reaktion auf das Urteil wurde das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe (RBEG) erlassen. Es sieht vor, alle fünf Jahre private Haushalte in Deutschland im Rahmen der Einkommen- und Verbrauchsstichprobe (EVS) zu ihren Einnahmen und Ausgaben, zur Vermögensbildung, zur Ausstattung mit Gebrauchsgütern und zu ihrer Wohnsituation zu befragen und auf der Basis dieser Zahlen das Existenzminimum für 6 Regelsatzstufen zu bemessen. Außerdem verpflichtet §10 RBEG die Bundesregierung, einen Bericht über die Weiterentwicklung der Methodik zur Regelbedarfsermittlung vorzulegen. Dieser Bericht ist zum 1.Juli 2013 fällig.
Anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung des Berichtes haben wir gemeinsam mit SPD und LINKEN die Bunderegierung zu den Zwischenergebnissen des Berichtes befragt. Befriedigende Antworten erhielten wir nicht. Die Informationen der Bundesregierung waren sehr spärlich. Sie legte nur offen, dass zu den methodischen Unzulänglichkeiten der EVS zwei wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben worden seien. Zwischenergebnisse, die zum jetzigen Zeitpunkt zweifelsohne schon vorliegen, wurden aber nicht genannt. Unsere Fragen wurden zumeist ausweichend beantwortet oder es wurde auf die anstehende Veröffentlichung des Berichtes verwiesen.
Keine Verbesserungen für Menschen mit Behinderung
Auf die Frage nach der Berücksichtigung der besonderen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen antwortete die Bundesregierung, der Gesetzgeber habe "drei Unterscheidungsstufen für Erwachsene", festgelegt, die den drei Regelsätzen für Erwachsene entsprächen. Eine "Lex specialis für Menschen mit Behinderungen" sei nicht vorgesehen. Daran hält die Bundesregierung stoisch fest, obwohl Menschen mit Behinderungen in verschiedenen Gerichtsverfahren Recht bekommen haben, weil die Abstufung des Regelsatzes um 10 Prozent für die Regelbedarfsstufe 2 bzw. um 20 Prozent bei der Regelbedarfsstufe 3 intransparent und unzureichend begründet ist. Auch weiterhin werden Menschen mit Behinderung, die volljährig sind und im Haushalt ihrer Eltern leben, nur 80 Prozent des Regelsatzes erhalten. Nach Auffassung der Bunderegierung müssten für eine eigene "Regelbedarfsstufe für behinderte Menschen, die im Haushalt ihrer Eltern leben [...] spezielle und zugleich typisierbare Bedarfe vorliegen, die erstens ursächlich mit Behinderungen in Zusammenhang stehen und zugleich unabhängig von der konkreten Ursache der Behinderung sind. Zweitens müssten [sie] sich von denen anderer Personen unterscheiden, für die Regelbedarfsstufe 3 ebenfalls gilt, also beispielsweise für ältere Menschen, die im Haushalt eines Kindes leben. Schließlich müssten drittens Bedarfslagen vorliegen, die bei Menschen mit Behinderung, die einen eigenen Haushalt oder mit einem Partner einen gemeinsamen Haushalt führen, nicht bestehen und folglich für die Regelbedarfsstufen 1 und 2 nicht gelten. Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen liegen keine Erkenntnisse oder Hinweise vor."
Hier sind auch nach der Veröffentlichung des Berichts keine substantiellen Verbesserungen zu erwarten. Umso gespannter darf man sein, wie die Bundesregierung trotzdem der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer transparenten und realitätsgerechten Regelsatzermittlung nachkommen will.
Keine Verbesserungen für Kinder und Jugendliche
Der Frage zu den Regelbedarfen von Kinder und Jugendlichen ist die Bundesregierung ausgewichen. Dabei hatte das Bundesverfassungsgericht die Festsetzung der Abschläge für Kinder und Jugendliche im Besonderen kritisiert, weil diese in einer "freihändigen Setzung ohne empirische und methodische Fundierung" erfolgt war.
Die Blockadehaltung der Bundesregierung bei der Offenlegung der Zwischenergebnisse ist unverständlich. Es bleibt zu hoffen, dass der Bericht selbst die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Transparenz bei der Regelsatzbemessung schafft und die methodischen Unzulänglichkeiten der bisherigen Regelsatzermittlung ausräumt. Nach dem Bericht zur Inanspruchnahme des Bildungs- und Teilhabepakets besteht allerdings Grund zur Skepsis. Schließlich hatte Ministerin von der Leyen hier gezeigt, dass sie mehr Arbeit darauf verwendet, die Zahlen ihren eigenen Wünschen als den Bedarfen der LeistungsempfängerInnen anzupassen.
(Die Antworten der Bundesregierung auf unsere Fragen finden Sie unten als PDF-Dokument.)
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