17.03.2014 – Rentenpolitik
Dieses internationale Sozialschutzabkommen gibt uns Gelegenheit, einmal über den Tellerrand zu gucken und generell zu schauen, wie der Sozialstaat jenseits Europas eigentlich wahrgenommen wird und welche Funktion dem Sozialstaat in anderen Ländern, gerade in den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern Südostasiens und Lateinamerikas, zukommt.
In Gesprächen darüber habe ich sehr interessante Erfahrungen gemacht. Wir als Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales empfangen ja auch regelmäßig Delegationen, zuletzt etwa aus China; aber auch aus Indonesien und vielen anderen Ländern waren schon Delegationen da. Die soziale Absicherung – dafür sind sozialstaatliche Regelungen notwendig – wird dort als Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg gesehen. Es war für mich wirklich hochinteressant, dass uns die Vertreter und Vertreterinnen dieser Delegationen gesagt haben: Wir brauchen jetzt die soziale Absicherung, um wirtschaftlich weiterzukommen. Es ist ein Wachstumshemmnis, wenn wir nicht die Sozialausgaben steigern und sichere, trittfeste Sozialsysteme etablieren.
Dieser Zusammenhang zwischen Sozialstaatlichkeit und Ökonomie wird unmittelbar deutlich, wenn wir uns etwa die gegenwärtige Lage in der Volksrepublik China anschauen. Der dortige Immobilienboom hat elementar etwas damit zu tun, dass es kein vernünftiges Umlagesystem in der Rentenversicherung gibt. Die entstehende Mittelschicht investiert in Wohnungen, von denen inzwischen Hunderttausende, ja sogar Millionen einfach leerstehen. Trotzdem wird in diese Wohnungen investiert, weil es keine andere angemessene Möglichkeit der Altersvorsorge gibt. Das hat man inzwischen auch in China erkannt.
Kehren wir zurück zum südamerikanischen Kontinent. Argentinien hat das Umlagesystem zunächst abgeschafft und versucht, es durch ein kapitalgedecktes System zu ersetzen. Das ist gründlich gescheitert. Jetzt etabliert Argentinien wieder ein Umlagesystem. Uruguay hat zu weiten Teilen – wir haben es von Frau Wolff gehört – seinen wirtschaftlichen Erfolg einer Verschlankung, aber vor allen Dingen einer Stützung und Stärkung der sozialstaatlichen Systeme zu verdanken.
Wir sehen also, dass die Debatte über Sozialstaatlichkeit in diesen wirtschaftlich aufstrebenden Ländern häufig anders abläuft als hier im medialen Mainstream. Sozialstaat wird hierzulande häufig als Belastung, als Bürde, als Kostgänger der Wirtschaft dargestellt. Dabei sind wirtschaftlicher Erfolg und soziale Absicherung zwei Seiten einer Medaille. Soziale Absicherung ist Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.
Wenn wir einen kurzen Blick auf die USA werfen, sehen wir, dass Sozialversicherungen die Wirtschaft entlasten. In den USA gibt es trotz der Ansätze einer gesetzlichen Krankenversicherung keine flächendeckende gesetzliche Krankenversicherung. Die Betriebe müssen dort selbst über Gruppenverträge mit privaten Versicherungen für die Krankenversicherung ihrer Beschäftigten sorgen. Das ist sehr, sehr teuer. Beschäftigte verlieren, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, auch ihren Gesundheitsschutz. Wir sehen also: Es ist sogar im Sinne des kapitalistischen Wirtschaftens dysfunktional, wenn man – in dem Fall – auf eine gesetzliche Krankenversicherung, auf eine Sozialversicherung verzichtet.
Darum wünsche ich mir, dass wir öfters über den Tellerrand hinausblicken, uns die Funktion von sozialer Sicherung vor Augen führen und dies auch in den hiesigen Debatten stärker berücksichtigen. Wir sollten eine schlichte, reduktionistische Sicht auf soziale Sicherung vermeiden und sehen, dass soziale Sicherung und insbesondere auch die Sozialversicherung mit dazu beitragen, dass es uns hier in Deutschland wirtschaftlich relativ gut geht.
Vielen Dank.