Hier geht es zu meiner gestrigen Rede, die ob der späten Stunde zu Protokoll ging.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es ist erfreulich, wenn sich die Finanzsituation der Rentenversicherung besser als erwartet entwickelt. Die gute Konjunktur, ein hoher Beschäftigungsstand und das Absinken des Rentenniveaus führten in der jüngeren Vergangenheit sowohl zu niedrigeren Beitragssätzen als auch zu einer Rekordrücklage der Rentenversicherung.
Eine Beitragssatzsenkung zum jetzigen Zeitpunkt, wie von der Großen Koalition geplant, wäre trotzdem falsch. Sie mindert die Einnahmen und erhöht die Ausgaben der Rentenkasse. Genau das können wir uns vor dem Hintergrund gewaltiger Aufgaben nicht leisten. Allein in dieser Wahlperiode wird das Rentenpaket rund 32 Milliarden Euro verschlingen. Der demografische Wandel und nicht zuletzt die konjunkturelle Unsicherheit kommen hinzu.
So gehen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute für 2014 nur noch von einem Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent anstatt von 1,8 Prozent aus. Auch 2015 fällt die Wachstumsprognose von 2,0 auf 1,3 Prozent. Der Internationale Währungsfonds, IWF, warnt in seinem Weltwirtschaftsausblick vor den Abwärtsrisiken. Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist im Oktober zum sechsten Mal in Folge gefallen. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung spricht von einem merklichen Stottern des Konjunkturmotors mit einem Nullwachstum im Schlussquartal.
Dies alles ist zwar noch kein Anlass zur Panik. Anlass für Vorsicht sollte es aber schon sein. Denn eine Senkung des Beitragssatzes im kommenden Jahr wird zu noch kräftigeren Beitragssatzerhöhungen in den Folgejahren führen.
Hinzu kommt, dass die voraussichtliche Beitragssatzsenkung nur mithilfe eines statistischen Tricks ermöglicht wird. Weil die Bundesagentur für Arbeit die Beschäftigtenstatistik verändert hat, fallen die Rentenerhöhung und somit die Ausgaben der Rentenversicherung im kommenden Jahr geringer aus. Ohne diesen Effekt, der dann im Jahr 2016 wie ein Bumerang auf die Ausgabenseite der Rentenkasse zurückkommt, wäre eine Senkung der Beiträge heute nicht in der Diskussion.
Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Absenkung des Rentenbeitragssatzes. Zum einen ist auch langfristig mit weiter steigenden Beiträgen zu rechnen. Für diesen absehbaren Beitragsanstieg sollte schon heute Vorsorge getroffen werden, um die Auswirkungen für die Wirtschaft und auch für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler abzufedern. Im Sinne der Planungssicherheit der Unternehmen und Betriebe darf es kein „Beitrags-Jojo“ geben.
Deswegen sollte eine höhere Nachhaltigkeitsrücklage gebildet werden. So offenbarte eine öffentliche Anhörung zum Beitragssatzgesetz 2014 am 17. Februar 2014 im Arbeits- und Sozialausschuss, dass zehn von zwölf Sachverständigen die Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage von 1,5 Monatsausgaben als zu niedrig einschätzen. Für eine gänzliche Abschaffung der Obergrenze – wie es die Linke in ihrem Gesetzentwurf fordert – gab es indes keine Mehrheit.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5937
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Wir lehnen den Gesetzentwurf der Linken ab, da wir – ähnlich wie die meisten Sachverständigen – eine gänzliche Abschaffung der Obergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage für nicht sinnvoll erachten. Eine Obergrenze gibt Orientierung und schafft eine Systematik für die Beitragssatzfestsetzung. Vollkommen richtig ist es indes, die Mindestrücklage von 0,2 auf 0,5 Monatsausgaben zu erhöhen. Hiervon ist im Übrigen auch die Deutsche Rentenversicherung überzeugt.
Zugleich steht die Rente auch auf der Leistungsseite vor großen Herausforderungen. Bei den beitragsfinanzierten Leistungen sind vor allem Verbesserungen bei Erwerbsminderung und Rehabilitation notwendig. Die von Schwarz-Rot verabschiedeten Maßnahmen zur Verbesserung der Erwerbsminderungsrente gehen in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Die Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten sollten abgeschafft werden, wenn der Zugang allein aufgrund medizinischer Diagnose und Prüfung erfolgt. An den Abschlägen auf Erwerbsminderungsrenten hält die Bundesregierung aber ausdrücklich fest. Aktuell stehen zudem nicht ausreichend Mittel zur Rehabilitation zur Verfügung. Wird das Rehabudget nicht umgehend bedarfsgerecht ausgestaltet, wird die Zahl der Erwerbsminderungsrentnerinnen und -rentner absehbar steigen.
Eine Bundesregierung, die gestern das Rentenpaket verabschiedet hat, heute die Beitragssätze senken will und morgen kräftigste Beitragssatzsteigerungen in Kauf nehmen wird, handelt kurzsichtig. Gerade in der Altersversorgung aber lohnt es sich, für nachhaltige und stabile Rentenfinanzen zu sorgen.
Alle Reden ab Seite 160 unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18063.pdf
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