01.02.2024 – Rentenpolitik, Arbeit und Soziales
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich komme nicht umhin, mit einer grundsätzlichen Bemerkung in Richtung der CDU/CSU-Fraktion zu eröffnen.
(Mareike Lotte Wulf [CDU/CSU]: Sehr gerne! Sehr gerne! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wir wissen schon, was kommt! Sparen Sie sich die Redezeit! Wir wissen schon, was Sie sagen wollen! – Gegenruf der Abg. Rasha Nasr [SPD])
Ich habe Sie hier vorgestern bei der Einbringung des Bundeshaushalts der Arbeitsverweigerung geziehen.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Den Textbaustein kennen wir schon! Der wird aber nicht wahrer!)
Ich habe gesagt: Wenn an die Union dieselben Maßstäbe angelegt würden, die die Union an arbeitsunwillige Bürgergeldbeziehende anlegt, dann müssten Sie sanktioniert werden,
(Dr. Ottilie Klein [CDU/CSU]: Ach!)
habe Sie als haushaltspolitische Totalverweigerer bezeichnet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Totalverweigerer“! – Zurufe der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU] und Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU])
– Ich meine das, was ich jetzt sage, sehr ernst. Hören Sie bitte mal zu!
Herr Merz hat gestern, weil ja auch andere diesen Vorwurf erhoben haben, eine Begründung dafür abgegeben, warum Sie keine Änderungsanträge gestellt haben. Die war ebenso unwahr wie politisch gefährlich. Er hat sinngemäß gesagt: Die politischen Gegensätze, die Gräben im Grundsatz, sind so groß, dass es sich nicht lohnt, irgendwelche Änderungsanträge zu stellen. – Das kann man so nicht stehen lassen! Das ist erstens unwahr. Sie hatten natürlich Änderungsanträge vorbereitet, über 300, für die Bereinigungssitzung am 16. November.
(Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Das war ja dann hinfällig! – Gegenruf der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD])
– Sie hatten das vorbereitet. So groß können die Gegensätze also nicht gewesen sein. Es war eine politische Entscheidung von Herrn Merz selbst – nach dem am Vortag ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts –, das gesamte Verfahren der Haushaltsaufstellung zu delegitimieren und es insgesamt zu beschädigen,
(Widerspruch bei der CDU/CSU – Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Es war hinfällig!)
ohne Rücksicht auf die Belange dieses Landes.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Auf der Arbeitsebene – insofern muss ich mich ein bisschen korrigieren – haben Sie, Gott sei Dank, keine Totalverweigerung betrieben.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Sie brechen die Verfassung!)
Es war eine politische Totalverweigerung durch Herrn Merz. Ich finde, es ist gefährlich für eine Demokratie, wenn man die Verfahren der Demokratie delegitimiert,
(Zuruf des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU])
wenn man Gräben und Grundsätze beschwört, anstatt die Möglichkeit zur Zusammenarbeit zu betonen.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie wollen doch gar keine! Sie lehnen alles ab!)
Das beschädigt die Demokratie genauso wie das Wiederholen von populistischen, demokratiefeindlichen Narrativen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf des Abg. Marc Biadacz [CDU/CSU])
Ich finde, dass die Union es sich gut überlegen sollte, ob sie diesen Weg von Herrn Merz mitgehen will.
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie beschädigen die Demokratie; indem Sie sagen: Jeder, der nicht für Sie ist, ist ein Demokratiefeind!)
– Das heißt nicht, dass Sie unsere inhaltlichen Ansichten übernehmen sollen. Wir streiten über unterschiedliche Weichenstellungen; das ist klar. Aber ich gehe erst mal davon aus, dass wir uns grundsätzlich auf demselben Gleisbett bewegen.
(Zuruf des Abg. Wilfried Oellers [CDU/CSU])
Das ist total wichtig für die Stärkung der Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit muss im Grundsatz auch bei inhaltlichen Unterschieden möglich sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf von der CDU/CSU)
Aber auch andere in der Unionsspitze verfolgen offensichtlich diesen Weg, den Sie sich möglicherweise von der Republikanischen Partei der USA abgeschaut haben,
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Jetzt wird’s immer besser!)
etwa wenn Jens Spahn vom dauerhaften Entzug des Existenzminimums redet und dann sagt, wenn das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei, dann müsse man das Grundgesetz ändern. Wissen Sie, welchen Artikel des Grundgesetzes man dann ändern müsste? Artikel 1, Menschenwürde.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zum Haushalt! Reden Sie zum Thema, Herr Kurth!)
Darauf hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls in seinem Urteil zu den Regelleistungen 2010 verwiesen,
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Reden Sie zum Thema!)
auf das Sozialstaatsprinzip. Die ersten 20 Artikel des Grundgesetzes unterliegen dem Ewigkeitsprinzip. – Ist das wirklich, tatsächlich die Art von Diskurs, die Art von Diskussion, die Sie führen wollen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
An dieser Stelle, kann man sagen, haben wir von SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen ein Arbeitsethos bewiesen,
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der AfD)
das den Menschen tatsächlich weiterhilft. Wir haben im Verfahren den Eingliederungstitel auf dem Niveau von 2023 stabilisiert und das im Haushaltsverfahren wieder zurückgeholt. Wenn Sie Vorschläge machen wollen, wie Leute so schnell wie möglich aus dem Bürgergeld in Arbeit kommen, hätten Sie Änderungsanträge stellen können, etwa zur Ausweitung des sozialen Arbeitsmarktes – das wäre doch eine gute Idee gewesen –,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
wo wir auch die Mittel stabilisiert haben.
Der Bundesarbeitsminister, der gleich noch sprechen wird, hat einen Jobturbo ins Leben gerufen. Darüber werden wir ebenfalls – das ist im Ansatz in den nächsten Jahren etatisiert – sehr viel schneller Personen in Arbeit bringen.
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Wir müssen endlich Schluss machen mit dem Schlechtreden.
(Wilfried Oellers [CDU/CSU]: Schauen Sie doch mal ins Land!)
Wir haben, was den Beitragssatz anbelangt, eine Situation bei der Rente, dem Rentenniveau, den Rücklagen, die hervorragend ist. Wir haben den höchsten Stand an Beschäftigung jemals in der Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP] – Dr. Silke Launert [CDU/CSU]: Aber nicht an Arbeitsstunden! Nicht an Arbeitsstunden!)
Wir haben einen Rekord an geleisteten Arbeitsstunden. Also hören Sie doch auf, zu erzählen, dass Arbeit sich nicht lohne. Reden Sie den Menschen das doch nicht ein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])
Es stimmt nicht.
Selbst das ifo-Institut, durchaus wirtschaftsnah, hat kürzlich genau vorgerechnet, dass sich Arbeit lohnt. Das können Sie nachlesen. Das DIW hat in einer Untersuchung ebenfalls gezeigt: Arbeit lohnt sich immer. Ich finde, man sollte den Menschen kein falsches Zeug einreden, damit sie auch keine Dummheiten machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Ich glaube, dass wir in diesem Verfahren bei allen Schwierigkeiten, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit sich gebracht hat, wirklich versucht haben, Verlässlichkeit und Sicherheit herzustellen. Ich muss an dieser Stelle auch allen haushaltspolitischen Sprechern von SPD, Grünen und FDP danken, dass das so möglich geworden ist, weil wir im Volumen ja einiges erreicht haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])
Ich danke auch ausdrücklich Otto Fricke von der FDP. Sicherlich stimmten die Interessen nicht immer überein, und es gab die Notwendigkeit, Kompromisse zu finden. Ich finde, das ist den Berichterstatterinnen für den Einzelplan 11 – Kathrin Michel hat schon gesprochen; Claudia Raffelhüschen wird gleich noch reden – und auch den haushaltspolitischen Sprechern gut gelungen. Das ist auch ein Wert an sich.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Bei dem ganzen Gerede über die „Streitampel“ und dergleichen zeigen wir, dass wir in den Ausschüssen, im Maschinenraum der Demokratie, gut zusammenarbeiten können.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)