15.04.2016 – Arbeit und Soziales
Die staatlichen Leistungen zur Mindestsicherung fußen auf einer Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen oder auch Verwaltungsvorschriften; als Beispiele seien hier nur die Sozialhilfe, die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, die Grundsicherung für Arbeitssuchende oder das Asylbewerberleistungsgesetz genannt. Das Leistungsrecht unterscheidet sich je nach Gesetz und ist auch selbst kompliziert. Für die Bürgerinnen und Bürger ist es schwer nachzuvollziehen, ob ein Anspruch auf Leistungen besteht und welche Behörde letztlich für die Klärung verantwortlich ist. Viele Bürgerinnen und Bürger nehmen darum Leistungen nicht in Anspruch, die ihnen zustehen, sie vor Armut schützen oder ihre Teilhabe gewährleisten sollen.
Diese Unübersichtlichkeit belastet aber auch die Menschen, die diese Gesetze um-setzen oder die Leistungsberechtigten beraten sollen - sei es in den Jobcentern, an den Gerichten oder in den Beratungsstellen. Ein zu hoher Anteil des Personals in den Jobcentern ist zudem mit der Bearbeitung der Anträge und der Berechnung von Leistungen, also mit reinen Verwaltungsaufgaben, beschäftigt. Darunter leidet die Beratung und Förderung der Leistungsbeziehenden.
Eine Vereinfachung des Leistungsrechts und eine Entlastung der Jobcenter sind dringend geboten. Das ist jedoch kein Selbstzweck. Eine Reform sollte auf folgende Ziele ausgerichtet werden:
1. Das Grundrecht auf Existenzsicherung muss zuverlässiger wahrgenommen werden können. Es muss zudem verständlicher werden, auf welche Leistungen Personen in welcher Situation Anspruch haben.
2. Die Jobcenter müssen von unnötiger Bürokratie befreit werden. Die Mitarbeiter sollen sich darauf konzentrieren können, die Leistungsberechtigten zu beraten und bei der Arbeitsmarktintegration durch passgenaue Hilfen und eine effektive Vermittlung zu unterstützen.
Über eine Rechtsvereinfachung im Bereich der Grundsicherung hinaus sollten die Ämter zudem durch eine Stärkung der vorgelagerten Sicherungssysteme, insbesondere für Erwerbstätige, Familien, Menschen mit Behinderungen und in Bildungsphasen sowie Rentnerinnen und Rentner, entlastet werden. Dadurch müssten deutlich weniger Bürgerinnen und Bürger ihren Mindestbedarf über die Sozialhilfe bzw. die Grundsicherung decken.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Rechtsvereinfachung wird diesen Zielen in keiner Weise gerecht. Es fehlt darin eine Reihe von Punkten, die in Wissenschaft, Praxis und Politik weitgehend Konsens sind. So sind sich fast alle Expertinnen und Experten darin einig, dass sowohl die verschärften Sanktionen für Unter-25-Jährige als auch Sanktionen, die die Kosten der Unterkunft betreffen, zweckwidrig und sehr verwaltungsaufwändig sind und zudem zu enormen sozialen Härten führen. Allein aus Rücksicht auf die CSU wurde auf dieses Mindestmaß an Reformen der Sanktionen verzichtet. Zudem bleiben auch die Träger bzw. die Vertreter der Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende, also die Bundesagentur für Arbeit, der Städtetag und der Landkreistag ungehört. Sie setzten sich erfolglos für eine Umstellung der Einkommensanrechnung von Partnerinnen und Partnern nach dem Vorbild der Grundsicherung im Alter und der Sozialhilfe ein. Dabei könnten sich die Jobcenter dadurch bei diesen Bedarfsgemeinschaften auf die Betreuung derjenigen konzentrieren, die tatsächlich Unterstützung bei der Integration in den Arbeitsmarkt benötigen.
Nur ein Teil der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen würde tatsächlich dazu führen, dass der Verwaltungsaufwand der Jobcenter sinkt. Dieses Ziel würde jedoch häufig nur um den Preis erreicht, dass die Berechtigten Leistungseinschränkungen hinnehmen müssten oder ihre Bedarfe ggf. nicht zuverlässig decken könnten. So soll die Einkommensanrechnung während des Mutterschutzes vereinfacht werden. Jedoch um den Preis, dass bei den werdenden Müttern, die geringfügig beschäftigt waren, ein Einkommen angenommen werden soll, welches diese gar nicht beziehen. Viele der geplanten Änderungen sind zudem keine Rechtsvereinfachungen, sondern Verschärfungen. So soll der rückwirkende Anspruch auf rechtmäßig zustehende Leistungen noch weiter eingeschränkt werden.
Insgesamt hat die Bundesregierung mit der geplanten Reform eine große Chance vertan.