03.06.2022 – Grüne Politik
Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu:
Die Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ ist in dieser Form und mit der vorgesehenen inhaltlichen Ausgestaltung fehlgeleitet und politisch hohl. Es ist Symbolpolitik, mit der insbesondere der Bundeskanzler Olaf Scholz vor allen Dingen effektvoll Führungsfähigkeit und Entschlusskraft gleichermaßen zur Darbietung bringen wollte und will. Der Ankündigung des avisierten Betrages von 100 Milliarden Euro ist keine systematische Bedarfsanalyse, geschweige denn eine systematische Beschaffungsplanung vorausgegangen. De facto handelt es sich bei dem Sondervermögen zunächst um eine Absichtserklärung, die lediglich mit einer dürftigen zweiseitigen Liste eilig zusammengesammelter Beschaffungswünsche des Bundesministeriums der Verteidigung hinterlegt ist. Schon die Ankündigung in jener Rede des Bundeskanzlers am 27.02.2022 vor dem Deutschen Bundestag, in der dieser die „Zeitenwende“ ausrief, stellte einen Affront sondergleichen gegenüber dem höchsten Verfassungsorgan, dem Deutschen Bundestag, dar. Die Verkündigung eines einsamen Beschlusses des Bundeskanzlers bedeutete jedenfalls keinesfalls eine „Zeitenwende“, sondern den Rückfall in für ein Parlament unwürdige Zeiten, die ich selbst in meiner ersten Wahlperiode als Abgeordneter des Deutschen Bundestags in den Jahren von 2002 bis 2005 erleben musste. Der 27. Februar 2022 markiert auch die Wiederauferstehung der abstoßenden „Basta-Mentalität“, die der autoritäre Typus des Sozialdemokraten in übler Manspreading-Manier zum Anschlag bringt, wenn er glaubt, Oberwasser zu haben.
Besonders ärgerlich ist dieses Verfahren gewesen, weil es bei der Ankündigung der Errichtung eines Sondervermögens und einer damit korrespondierenden Grundgesetzänderung nicht nur um Benimm ging, sondern weil es die Regierungsmehrheit ohne Not der CDU/CSU ausgeliefert hat. Es war eine Einladung zu politischer Erpressung, die der Fraktionsvorsitzende der Union ohne zu zögern dankbar angenommen hat. Wenn jetzt das Sondervermögen ausschließlich militärische Hardware, also im Kern Waffensysteme, umfassen soll, folgt diese Festlegung genauso wie das Volumen von 100 Milliarden Euro keinerlei sachlich begründeter Planung oder Bedarfsanalyse, sondern dient ausschließlich ebenso kurzsichtiger wie primitiver Kraftmeierei.
Der politische Stumpfsinn, der sich in dieser Grundgesetzänderung manifestiert, ist für mich mehr als bloß ärgerlich, als dass an der grundsätzlichen Notwendigkeit, sowohl die Bundeswehr deutlich besser auszurüsten als auch die Ukraine mit Waffenlieferungen zu unterstützen, kein Zweifel bestehen kann. Die Welt sieht nicht erst seit dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine die Formierung eines neuen, zeitgenössischen Typs von Faschismus in Russland, der sich seit Kriegsbeginn in voller Brutalität im Innern wie im Äußeren entfaltet. Der Krieg wirkte gleichsam als Katalysator für den Faschismus Putin`scher Prägung, der gleichsam stellvertretend in Butscha sein Gesicht des radikalen Bösen gezeigt hat. Spätestens seit das 64. Regiment der russischen Armee, welches in Butscha stationiert war, von Putin persönlich als „Garderegiment“ ausgezeichnet wurde, ist klar, dass die Vernichtung von Teilen der ukrainischer Bevölkerung und der Terror gegen in- und ausländische demokratische Bewegungen der Zivilgesellschaft wesentlicher Teil des russischen Faschismus sind.
Es ist diese historische Herausforderung, dass die freie Welt – gerade in Europa – einem neuen Typ von Faschismus Widerstand leisten muss, die mich dazu bringt, der Änderung des Grundgesetzes und der Errichtung des „Sondervermögens Bundeswehr“ trotz aller Mängel und trotz der unsäglichen Vorgeschichte zuzustimmen. Denn längst hat sich die von der Suche nach innenpolitischen Geländegewinnen getriebene deutsche Debatte zu einem internationalen Politikum entwickelt. Die heutige Abstimmung ist nunmehr vor allem Symbol des politischen Willens der Bundesrepublik Deutschland, ihren Beitrag zum Widerstand gegen ein kriegführendes und todessüchtiges faschistisches Regime in Russland zu leisten. Die heutige Stimmabgabe ist von ihrer internationalen sicherheitspolitischen Bedeutung her inzwischen viel weniger eine Sachentscheidung über die Bundeswehr und deren Finanzierung. Die größtmögliche Geschlossenheit des Deutschen Bundestages in der konkreten Stimmabgabe ist de facto auch ein Signal der Entschlossenheit sowohl gegenüber verbündeten Demokratien als auch gegenüber Präsident Putin, dass diese Demokratie Bundesrepublik Deutschland bereit ist, sich und andere Demokratien in Europa verteidigen.
Die Bedeutung dieses Signals ist gerade gegenüber dem Angreifer, zu dessen Methoden der hybriden Kriegführung ja auch das Schüren der innergesellschaftlichen Spaltung und die Zersetzung von demokratischen Strukturen gehört, von überragender Bedeutung. Demgegenüber habe ich mich entschieden, an diesem einen Tage die von mir kritisierten Verfahren und Inhalte in Bezug auf das Sondervermögen hinzunehmen. Ich stimme mit „Ja“ ab.
Das heißt jedoch nicht, dass damit meine Kritik aufgehoben ist: Im weiteren Verfahren sind sämtliche Spielräume – und davon gibt es einige - zu nutzen, um zu verhindern, dass Steuergeld sinnlos verschleudert wird. So sind zum Beispiel schon rein technisch die 100 Milliarden Euro nicht in fünf Jahren zu verausgaben, wie das die Union will. Eine Beschaffungsorganisation, für die in der Vergangenheit schon der Einkauf von Unterhosen eine nicht zu bewältigende Herausforderung bedeutete, wird aller Voraussicht nach militärisches Großgerät und komplexe Waffensysteme nur über einen deutlich längeren Zeitraum von mehr als zehn Jahren beschaffen können. Dies ist auch absolut sinnvoll, um nicht unter Zeitdruck planlos und von Anbietern erpressbar irgendwelche Ausrüstungsgegenstände zu erwerben, nur um das schuldenfinanzierte Sondervermögen auszugeben. Des Weiteren werde ich mich mit meiner Fraktion auch weiterhin für eine Planung und Etatisierung der Verteidigungsausgaben einsetzen, die einer Fähigkeitsanalyse und einer Beschaffung nach verteidigungspolitischen Notwendigkeiten folgt statt einer Prozentgröße der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung. Dass dieser an und für sich banale Punkt hier erwähnt werden muss und dass dafür gekämpft werden musste, damit das so genannte „Zwei-Prozent-Ziel“ eben nicht Teil der heutigen Abstimmung ist, kann nur als Beleg einer bemerkenswerten rüstungspolitischen Einfalt der Fraktion der CDU/CSU gewertet werden.
Im Übrigen werde ich mich nicht zuletzt in meiner Funktion als Mitglied des Haushaltsausschusses dafür einsetzen, dass die Ausgaben für Cybersicherheit, Entwicklungszusammenarbeit und zivile Konfliktprävention sowie für Zivilschutz nicht zulasten von sozialer Sicherheit und den dafür notwendigen öffentlichen Aufwendungen gehen. Denn wenn die Rüstung der Bundeswehr und die zivilen Sicherheitsausgaben dazu führen, den gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu schwächen oder gar ernsthaft zu beschädigen, spielen wir den Putin-Faschisten in die Hände. Dann wären all die Ausgaben, die jetzt über das Sondervermögen beschlossen werden, völlig umsonst gewesen. Dies wäre eine Ironie der Geschichte, die zu erleben wir keinem mörderischen Diktator dieser Erde gönnen dürfen. Ich hoffe darauf, dass diese Einsicht in langfristige politische Vernunft auch bei denjenigen keimt, die diese Form der Errichtung des Sondervermögens maßgeblich verantwortet haben. Ich jedenfalls werde alles versuchen.