16.03.2017 – Rentenpolitik
Die Rentenreform von 1957 „[…] hat die Rentenversicherung zum finanziell aufwendigsten Bestandteil des Sozialbudgets werden lassen. Dem damit erreichten hohen gesetzlichen Sicherungsstandard für die ‚Normalarbeitsverhältnisse‘ entspricht ein geringer Ausbau der betrieblichen Altersversorgung, welche im Wesentlichen nur für Führungskräfte eine größere Rolle spielt.“ (Franz-Xaver Kaufmann)
Das obige Zitat des Bielefelder Soziologen Franz-Xaver Kaufmann stammt aus dem Jahr 2003. Der Rückblick macht deutlich, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Die Betriebsrente ist in wenigen Jahren zu weit mehr als einem Instrument der Personalbindung avanciert. Inzwischen richten sich politische Erwartungen und Hoffnungen darauf, dass die Betriebsrente eine substantielle Alterssicherungsfunktion übernimmt. Dies gilt umso mehr, als dass sich die Erwartungen an die private geförderte Altersvorsorge („Riester-Rente“) bestenfalls in Teilen erfüllt haben. Während die Beitragssätze zur gesetzlichen Rentenversicherung durch den „Riester-Faktor“ tatsächlich gesenkt werden konnten (und heute sogar unter den Prognosen der Rürup-Kommission des Jahres 2003 liegen), kam der versprochene Ausgleich des gesetzlich abgesenkten Rentenniveaus für die meisten Versicherten nicht zustande. Von rund 35 Millionen Förderberechtigten nutzen tatsächlich nur rund sieben Millionen Menschen den vollen Förderumfang für ihre private Altersvorsorge. Die Gründe sind vielfältig: Die Unübersichtlichkeit des Marktes, geringe Renditeerwartungen, Ungewissheit sowie Unkenntnis über die Höhe der künftigen Rente und schlichtweg mangelnder finanzieller Spielraum dürften die häufigsten Motive dafür sein, dass die Rentenversicherten inzwischen eher skeptisch auf die Riester-Produkte blicken. Medienberichte über die Vortragshonorare von Walter Riester und zweifelhafte Drückerkönige wie Carsten Maschmeyer dürften ebenfalls zu dem unvorteilhaften öffentlichen Eindruck beigetragen haben, dass an der „Riesterrente“ viele verdienen, jedoch nicht unbedingt der Kunde. Auch die jahrelange Denunziation der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente als schwindsüchtiges Gerippe hat – paradoxerweise – die Folge, dass gerade Geringverdienende in der Summe weniger privat vorsorgen: Wer erwartet, am Ende seines Erwerbslebens in der Sozialhilfe zu landen, hat eben keinen Sparanreiz. Mittlerweile dämmert so manchem Akteur der Finanzbranche, dass etwas mehr Zurückhaltung jedenfalls bei der privaten Altersvorsorge einen nachhaltigeren Erfolg verspricht als das Aufdrehen der Lautsprecher.
Die neue politische Konjunktur der Betriebsrente hat – das darf man getrost annehmen – auch etwas damit zu tun, dass nicht wenige Politiker*innen inzwischen auf die Riester-Rente gucken wie die Verwandtschaft auf den einst gutaussehenden Onkel, der sich als schmieriger Heiratsschwindler entpuppt hat. Nun sollen es nach dem Willen der Koalitionsfraktionen stattdessen die Betriebsrenten richten. Ihnen soll, so zumindest Plan und Titel des Gesetzes, in zunehmendem Maße eine ergänzende Funktion zukommen. Indes: In kleineren Unternehmen und in bestimmten Branchen ist die betriebliche Altersversorgung heute nur wenig verbreitet. Hier müsste zwar in der Tat nachgesteuert werden. Allerdings ist genau dieses Ziel – die größere Verbreitung der Betriebsrente - mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz nicht zu erreichen. Denn die meisten Regelungen, die den Unternehmen die Betriebsrente schmackhaft machen sollen, sind von der Tarifbindung abhängig. Doch gerade in den Problemzonen der betrieblichen Altersversorgung, insbesondere unter kleineren Unternehmen, ist diese eine Ausnahme. Dies gilt nicht minder für bestimmte Wirtschaftsbereiche, etwa den Einzelhandel oder das Gesundheits- und Erziehungswesen. Das vom DGB favorisierte Mittel der Wahl - mehr Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen - werden realistischer Weise gegen die Arbeitgeber schwer durchsetzbar sein. Von vielen der neuen Subventionstatbestände („Anreize“) profitieren folglich vor allem diejenigen, die bereits heute einigermaßen gut abgesichert sind – bezahlen müssen alle anderen. Natürlich ist nicht auszuschließen, dass auch der ein oder andere Handwerksbetrieb sich in Zukunft neu dazu aufrafft, seinen Beschäftigten jetzt eben auch eine Betriebsrente anzubieten. Angesichts des Fachkräftemangels im Handwerk dürfte nicht zuletzt das klassische Motiv der Mitarbeiterbindung eine Renaissance erleben. Unter dem Strich aber folgt das Betriebsrentenstärkungsgesetz dem gleichen Muster wie die so genannte „Rente ab 63“: Klientelorientierung dominiert, eine nach sozialpolitischer Notwendigkeit hergeleitete Umsetzung von Schutzzielen fehlt weitgehend.
In diesem Fall nämlich hätte man kraftvoller einsteigen müssen: Eine wirkliche Verbreitung der Betriebsrente kann nur über eine gesetzliche Angebotspflicht für alle Arbeitgeber gelingen (mindestens als „active choice“ oder besser als „auto-enrolment“). Gleichzeitig müssen Arbeitgeber einen Eigenbeitrag in die Betriebsrente einbringen, damit diese ihren Namen verdient. Einen anderen Weg braucht es auch bei den Haftungsfragen: Statt wie die Bundesregierung speziell tarifgebundene und damit eher größere Unternehmen von der Haftung zu befreien, sollten nach Beschlusslage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zielgenau kleine und mittlere Unternehmen bis 50 Angestellte über die Ermöglichung von reinen Beitragszusagen unterstützt werden. Übrigens: Wieso ausgerechnet ein Garantieverbot die Beschäftigten dazu motivieren soll, einen Teil ihres Gehalts (um den Preis der Aufgabe von Ansprüchen aus der gesetzlichen Rente) umzuwandeln und den Risiken des Kapitalmarktes ebenso auszusetzen wie den Unwägbarkeiten einer von den Sozialpartnern beaufsichtigten Kapitalsammelstelle, hat noch keiner plausibel zu erklären vermocht.
Die Stärkung der Betriebsrente ist generell eine notwendige Maßnahme, wird indes aber nicht ausreichen, um das Alterssicherungssystem insgesamt auf eine stabilere Grundlage zu stellen. Wir Grüne wollen das umlagefinanzierte Rentensystem breit aufstellen, sowohl für Geringverdienende als auch für die Mittelschicht, für Frauen, Versicherte mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und für abhängig Beschäftigte wie für Selbständige gleichermaßen. Um das Drei-Säulen-System zu stärken, hat die Grüne Bundestagsfraktion neben ihren Vorschlägen zur betrieblichen Altersversorgung ein umfassendes Konzept zur Reform der gesetzlichen wie der geförderten privaten Altersvorsorge vorgelegt. Die Verbreiterung der Grundlage der gesetzlichen Rentenversicherung stellt hierbei einen entscheidenden Schritt dar. Möglichst sofort wollen wir nicht anderweitig abgesicherte Selbständige, Abgeordnete, MinijobberInnen und Langzeitarbeitslose in die Versicherungspflicht einbeziehen, mittelfristig auch Beamtinnen und Beamte. Damit fällt es leichter, das Rentenniveau nahe dem heutigen Niveau zu stabilisieren und ein angemessenes Verhältnis zwischen Rentenniveau und Beitragssatz sicherzustellen.
Eine auf diese Weise abgesicherte, dauerhaft armutsfeste gesetzliche Rente, der die Versicherten vertrauen, ist die Grundlage für betriebliche wie private Vorsorge und sollte daher auch das strategische Ziel der Versicherungswirtschaft sein. Notreparaturen und Trostpflaster wie der angedachte Freibetrag in der Grundsicherung können niemals den Vertrauensschaden ausgleichen, der durch ein weiteres ungebremstes Abrutschen des Rentenniveaus entstünde. In diesem Sinn ähneln sich die Interessenlagen von Sozialpolitik und Akteuren der privaten Altersvorsorge objektiv manchmal mehr als es auf den ersten Blick scheint.