Hier mein Interview mit der Zeitung des Berufsförderungswerk
Interview mit Markus Kurth, rentenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen
Die Dinge in Bewegung bringenDie aktuelle demografische Schönwetterphase kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es spätestens, wenn die sogenannten Baby-Boomer in den Ruhestand gehen, eng wird am Arbeitsmarkt. Markus Kurth, Sprecher für Rentenpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen sprach im Interview mit Blickpunkt BFW über kommende Herausforderungen. Sie beanstanden, dass die Rente mit 63 „Fachkräfte dauerhaft vom Markt fegt“. Was meinen Sie damit?
Das größte Problem an der Rente mit 63 sehe ich darin, dass sie den Fokus weg vom Gedanken „Wie verändern wir die Arbeitswelt so, dass man auch länger in ihr bestehen kann“, dahingehend lenkt: „Wer nicht mehr kann, der soll eben früher aufhören“. Eine fatale Entwicklung, denn so werden dem Arbeitsmarkt qualifizierte Arbeitskräfte entzogen, die er dringend benötigt: Fast ein Drittel der Begünstigten würde ohne die neue Rente heute noch arbeiten.
Andererseits ist die Rente mit 67 damals als getarnte Rentenkürzung kritisiert worden. Welche Voraussetzungen braucht es, damit Menschen bis 67 Jahre voll leistungsfähig sind?
Wenn die Wirtschaft jetzt nichts dafür tut, dass Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze so gestaltet sind, dass Menschen auch mit einer veränderten Leistungsfähigkeit im Alter arbeiten können, dann ist die Rente mit 67 in der Tat eine verkappte Rentenkürzung. Auf der anderen Seite gibt es Berufe, in denen man nicht bis zur Rente – egal, ob mit 63 oder 67 – arbeiten kann. Auch darauf müssen wir uns einstellen und dringend Alternativen zum Thema Frühverrentung entwickeln. So sollte es zum Beispiel endlich normal werden, auch mitten im Berufsleben noch einmal einen Neustart zu machen – sei es durch eine Teilausbildung, eine Weiterqualifizierung oder wenn nötig, auch eine komplette Neuorientierung. Und das auch noch mit Mitte 40 oder 50.
Nun ist nicht nur die Mobilisierung älterer Arbeitnehmer ein möglicher Weg, um die demografische Lücke zu schließen. Im Hinblick auf den sich verschärfenden Fachkräftemangel bietet gerade auch die Beschäftigung behinderter Menschen eine große Chance für Betriebe. Und doch ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Handicap mit 14 Prozent etwa doppelt so hoch wie die von Menschen ohne Behinderung. Wie kann die Teilhabe am Arbeitsleben nachhaltig verbessert werden?
Zunächst einmal spielen Bewusstseinsbildung und der Abbau von Vorurteilen eine große Rolle an dieser Stelle. Viele Arbeitgeber haben Befürchtungen im Hinblick auf den Betriebsablauf – ein Einwand, der mir als behindertenpolitischer Sprecher oft begegnet ist, war: „Wie passt das denn mit den Kollegen zusammen?“. Der zweite wichtige Aspekt in diesem Kontext ist Expertise: Wie können Arbeitsprozesse mit Menschen mit Beeinträchtigungen organisiert werden? Dazu brauchen Unternehmen von außen vernünftige Unterstützung, Beratung und Begleitung. Hier gilt es vor allem, die Zuständigkeit der beteiligten Institutionen einheitlicher zu gestalten und den Bürokratiedschungel zu lichten, um den Informationszugang zu erleichtern.
Sie sind Schirmherr des Dortmunder Kompetenznetzwerks für Menschen mit Behinderung, in dem sich Unternehmen und Institutionen unter Federführung der Agentur für Arbeit zusammengeschlossen haben, um Erfahrungen und Sachverständnis zusammenzubringen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Expertenforum „Chefsache Inklusion“, das der Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke initiiert hat. Sind diese Art von Bündnissen das Erfolgskonzept, um Barrieren abzubauen und das Bewusstsein für Inklusion zu stärken?
Neben den politischen Anstrengungen sind das ganz wichtige Ansätze, um Informationen weiterzugeben und mit Best Practice-Beispielen zu zeigen, wie Inklusion gelingt. Nur über den Weg des praktischen Beispiels und des Austauschs von konkreten Erfahrungen bringt man die Dinge in Bewegung. Und dafür braucht es Netzwerke. Je mehr es davon gibt und je mehr sich daran beteiligen, desto besser. Und jedem Unternehmer und Personalverantwortlichen, der noch nicht mitmacht, dem rufe ich zu, es ist spannend und faszinierend, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen. Zu beobachten, mit welchem Einfallsreichtum Arbeitsprozesse verändert werden können, wie leistungsfähig Menschen sind, wenn sie entsprechend eingesetzt werden und welche positiven Effekte das auf das Betriebsklima haben kann.
Bei unserem letzten Gespräch vor zwei Jahren haben Sie zum Thema Inklusion am Arbeitsmarkt gesagt, „da seien noch sehr dicke Bretter zu bohren“. Sind die mittlerweile etwas dünner geworden?
Die Bretter sind noch genau so dick, würde ich sagen. Aber mit dem Bohren sind wir schon weitergekommen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Quelle: Blickpunkt BFW; Autorin: Vanessa Leßner
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